„Ein Hungerkünstler“ ist eine ergreifende Erzählung von Franz Kafka. Ein zur Belustigung von Jahrmarkt- und Zirkusbesuchern zur Schau gestellter Hungerkünstler gesteht angesichts des Todes dass er nicht „freiwillig“ gehungert habe, sondern nur weil er keine Speise gefunden habe, die ihm geschmeckt hätte.
Meine persönliche Deutung speist sich aus den jahrelangen Coaching-Erfahrungen mit meinen Klient*innen: Grund für das „Hungern“ ist ein „Sich-nicht-spüren“, ein „Sich-nicht-kennen“, ein „Nicht-wissen-was-man-möchte“. Beklemmend klingt der Satz „Er hätte es noch lange, unbeschränkt lange ausgehalten“, „denn für seine Fähigkeit, zu hungern, fühlte er keine Grenzen“.
Als Coach erkenne ich eine tiefe Form von Verzweiflung wieder, die Menschen befällt, die ein Leben führen, in dem sie sich fremd fühlen, in dem sie ihr Wesen nicht nähren können. Die von Kafka beschriebene lange Leidensfähigkeit geht oft damit einher, ist Ursache und Wirkung zugleich. Während der Kafka´sche Hungerkünstler zu Beginn immer wieder vehement sein „so sein“ verteidigt, gesteht er am Ende ein, „nicht anders gekonnt zu haben“. Und hätte er es gekonnt…? Ja, dann hätte er sich den Bauch vollgeschlagen!
Aus dem Dilemma, sein eigenes Lebensthema noch nicht gefunden zu haben, gibt es einen Ausweg: Sich selbst wieder spüren lernen, sich von einengenden und behindernden Überzeugungen (sich selbst und das Leben betreffend) frei machen und aktiv auf die Suche gehen.
Wir hungern alle nach Leben, nach einer Bedeutung unserer Existenz und nach Entfaltung unserer Fähigkeiten. Dazu brauchen wir eine Speise, die uns „schmeckt“, die uns nährt und unser Interesse am Leben erhält, damit wir nicht verlöschen, wie der ausgezehrte Hungerkünstler der Erzählung.
Manchmal versuchen wir uns so dringend einen Reim auf unser Leben zu machen, dass wir das Hungern auch noch als richtige Lebensform verteidigen. Dann sind wir in Selbstverleugnung gefangen und merken es nicht mal mehr: Der Hungerkünstler war „dem Hungern allzu fanatisch ergeben“.
Mit meinen Klient*innen gehe ich den Weg der Lebensfreude und dabei dürfen hinderliche Glaubenssätze aussortiert werden. Wir verstehen, welche Funktion sie mal hatten und suchen nach Denk- Fühl- und Verhaltensweisen, die Wohlbefinden, Lebensqualität und innere Erfüllung befördern.