Hintergrund zum freundin-Artikel „Handy-Password“ in der Rubrik „Alltagsfragen“, Heft 4 (26.01.22)
Leserin: Mein neuer Partner geht ganz selbstverständlich davon aus, dass ich ihm das Password für mein Handy verrate. Mir ist aber meine Privatsphäre sehr wichtig. Bin ich da zu vorsichtig?
Julia Kühling: Nein, überhaupt nicht. In einer Beziehung ist es essentiell, dass beide Partner ihre eigenen Ich-Bereiche definieren – und diese vom anderen auch geachtet werden. Dem einen ist das Handy heilig, für andere ist es die Handtasche, das Portemonnaie oder das eigene Bankkonto. Das ist individuell ganz verschieden. Nachdem Sie sich darüber Gedanken gemacht haben, was Ihnen wichtig ist und welche Bereiche Sie als Ihre ausschließlich eigenen verstanden wissen möchten, sollten Sie auch zu Ihrer Entscheidung stehen und Respekt dafür einfordern.
JULIA KÜHLING, Life- und Beziehungscoach, www.coach-julia-kuehling.com
Life- und Beziehungscoach Julia Kühling zum Hintergrund:
Beim Thema „Handy-Password“ geht es weniger um „Vorsicht“, als um gesunde Abgrenzung: Das Bewahren der Privatsphäre ist auch dann sinnvoll, wenn mein Partner theoretisch alle Nachrichten auf meinem Handy lesen könnte, weil ich sowieso nichts Negatives über ihn sagen will.
Auch im Falle von Portemonnaie, Bankkonto oder Handtasche geht die Frage weit über den reellen Zugriff auf diese Dinge hinaus:
„Gesunde Abgrenzung“ meint, dass es um das so wichtige Definieren eines ganz persönlichen Lebensbereiches für jeden der beiden Partner geht. In einer gesunden Partnerschaft verschmelzen die Partner nicht gänzlich zu einem grenzenlosen WIR, sondern haben jeweils auch einen ICH-Raum, den sie bewahren und weder vollkommen noch automatisch teilen. Hier ist Abstand möglich, hier gibt es private Dinge, Gedanken und Kontakte.
Auch wenn das wunderbare WIR in einer Partnerschaft auf tief empfundener Verbundenheit, Zuwendung und Vertrauen beruht, so ist doch für beide Liebenden gut, so einen privaten Bereich auch in einer Partnerschaft zu haben. Man kann diesen Bereich des Seins mit anderen Menschen teilen, oder auch nicht, wenn man das nicht will. Dann hat man nur selbst „Zutritt“ zu diesem Raum oder zu definierten Dingen.
Einige Menschen können sich nicht so leicht von anderen abgrenzen. Manchmal führen sie zu enge Beziehungen oder die Angst vor Vereinnahmung hindert sie, überhaupt Beziehungen einzugehen.
Wer seinen persönlichen Lebensbereich aufgibt, kann das aus verschiedenen Gründen tun: Beispielsweise aus Angst, andernfalls nicht mehr geliebt zu werden, den anderen zu verlieren. Grenzenlose Öffnung und Selbstaufgabe werden dann als „Liebesbeweis“ an den Partner/ die Partnerin missverstanden mit dem Ziel, einer eventuellen Zurückweisung so zu entgehen.
Eine andere Angst ist die, vor der eigenen Verantwortung. Wer diese Angst lebt, erkauft sich dauernde Fürsorge und „aufgefangen werden“ mit der Abgabe von Kontrolle und Eigenständigkeit. Dauert dieser Zustand länger an, so löst die bloße Vorstellung von Eigenständigkeit Gefühle der Hilflosigkeit und des „es nicht alleine schaffen Könnens“ aus.
Manchmal steckt hinter dem dauerhaften Aufgeben eines privaten Lebensbereichs auch eine gewisse Blauäugigkeit und Naivität: So muss Liebe wohl sein…!
Eine gesunde Abgrenzung ist einer Beziehung zuträglich. Fundament jeder Beziehung sind 2 ICHS, die wie zwei Kreise eine gemeinsame Schnittmenge bilden: ICH – WIR – ICH. Je nach Lebenslage kann diese Schnittmenge mal größer und mal kleiner sein: Die sich verändernden Bedürfnisse beider Partner gestalten die Größe und Beschaffenheit der Schnittmenge. Im Idealfall ist das ein „organisches sich Wandeln“ in dem beide Partner sich dauerhaft wohl fühlen.
Wer seinen Partner oder seine Partnerin bedrängt, den eigenen Lebensbereich aufzugeben, tut dies oft aus Eifersucht verbunden mit dem Wunsch nach Kontrolle. Als Mittel der Wahl dient dann die Erpressung: Wenn du mir vertraust, gibst du mir dein Handy-Passwort…! Du vertraust mir doch…?!
Vertrauen muss aber ohne Kontrolle wachsen. Es ist aushaltbar, nicht alles vom anderen zu wissen, und trotzdem zu vertrauen.
Wer selbst schon mal bedrängt wurde, seinen privaten Lebensbereich aufzugeben, sollte die einfachen Worte sprechen: „Nein, ich möchte das nicht!“
Schwierig werden diese Worte erst, wenn die oben genannten Ängste dazukommen: die Angst, etwas für sich zu fordern und zu missfallen, die Angst, unbequem zu sein, die Angst, weggestoßen zu werden, die Angst, für sein Leben die Verantwortung übernehmen zu müssen oder die Angst, die Illusion einer perfekten Liebe in totaler Verschmelzung zu verlieren.
Mein Tipp:
Begegnen kannst du diesen Ängsten immer wieder, indem du dir sagst, was du schon alles in deinem Leben geschafft hast. Auf welche eigenen Stärken konntest du immer setzen, wenn es mal hoch her ging? Wie bist du vorgegangen, wenn es gut für dich ausgegangen ist? Welche Menschen haben dich unterstützt und standen dir zur Seite? Übe dich mutig darin, eigene Bedürfnisse zu äußern. Werde dir deiner inneren Stärken bewusst und baue diese aktiv aus. Dann bist du auf jeden Fall auch eine starke Partnerin oder ein starker Partner in deiner Beziehung!